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Regressfalle Medizinisches Cannabis: Darauf sollten Ärzte:innen achten

Regressfalle Medizinisches Cannabis: Darauf sollten Ärzte:innen achten

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Benjamin Ruhlmann
Benjamin Ruhlmann, MBA
August 13, 2022
5 min read
Benjamin Ruhlmann

In der Gesellschaft findet die Einnahme von medizinischem Cannabis immer mehr Rückhalt. Für Menschen, die etwa an chronischen Schmerzen leiden, kann der Konsum von Cannabis eine Möglichkeit sein, ihre Symptome zu lindern. Die Folge ist, dass immer mehr Ärzte:innen medizinisches Cannabis verschreiben. Allerdings müssen Ärzte:innen bei der Verschreibung von medizinischem Cannabis einige rechtliche Vorgaben beachten.Im Gegensatz zu einer Vielzahl anderer Medikamente ist für Cannabis ohne vorherige Genehmigung der zuständigen Krankenkassen keine Verordnung auszustellen. Verschreiben Sie Ihren Patienten:innen dennoch Cannabis, laufen Sie Gefahr, auf den Kosten sitzen zu bleiben. Es gibt Möglichkeiten, das zu verhindern.

In diesem Artikel wird die Rechtslage zur Verschreibung von medizinischem Cannabis lediglich in Teilen und hierbei kurz zusammengefasst. An einigen Stellen gebe ich grundlegende Handlungsempfehlungen, was allerdings keine persönliche Rechtsberatung ersetzen kann. Sichern Sie sich immer und in jedem Fall rechtlich ab, indem Sie sich individuell und kompetent über Ihre Rechte und Pflichten beraten lassen. Gerne von mir!

Regress gegen Ärzte:innen bei Verschreibung von medizinischem Cannabis

Zuletzt hat das Sozialgericht Stuttgart in einem Cannabis-Fall zu Ungunsten von Vertragsärzte:innen entschieden (AZ: S 12 KA 469/20). Vorliegend hatten die Ärzte:innen ohne die erforderliche Genehmigung seitens der Krankenkasse nach § 31 Abs. 6 S. 2 SGB V Dronabinol (eine Form von medizinischem Cannabis) verschrieben. Im Urteil wurde festgestellt, dass eine Verordnung von Cannabis ohne die vorherige Einholung einer Genehmigung der Krankenkassen unzulässig ist. Die Folge war, dass die betroffenen Ärzte:innen die entstandenen Verordnungskosten tragen mussten.

Im vorliegenden Fall wurde erst im Nachhinein ein entsprechender Antrag auf Kostenübernahme der medikamentösen Behandlung gestellt. Daraufhin erließ die Prüfstelle auf Antrag der Krankenkasse einen Regressbescheid und forderte die entstandenen Kosten zurück.

Die betroffenen Ärzte:innen wehrten sich mit einer Klage: Sie waren der Überzeugung, dass die Therapie aus medizinischer Sicht sinnvoll war und einen zusätzlichen Nutzen für die Patienten:innen hatten. Durch eine Verzögerung der Behandlung aufgrund der Wartezeit für eine Genehmigung hätte sich der Zustand der Patienten:innen derart verschlechtert, dass eine stationäre Behandlung nötig gewesen wäre – dies hätte erhebliche Mehrkosten zur Folge gehabt.

Die Krankenkasse bestritt zu keinem Zeitpunkt den medizinischen Nutzen der Behandlung. Die Verordnung war daher im Prozess unstrittig als sinnvoll anzusehen. Da die aktuelle Rechtslage allerdings keinen Spielraum zulässt, war eine vorherige Genehmigung auch in diesem dringenden Fall einzuholen. Der Gesetzgeber hat auch in eilbedürftigen Fällen keine Ausnahme von dieser Regelung getroffen.

Klartext: Es genügt auch dann keine nachträgliche Genehmigung, wenn die Wartezeit eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes zur Folge hat – so die rechtliche Einschätzung der Richter:innen. Sowohl der Krankenkasse als auch der Prüfstelle steht kein Ermessensspielraum zu. Die Befürchtung, dass bei rechtmäßiger Einholung der Genehmigung ein gleichhoher oder höherer Schaden eingetreten wäre, lässt den entstandenen Schaden nicht entfallen.

Wann muss durch die Krankenkasse eine Genehmigung erteilt werden?

Für eine Genehmigung bedarf es der entsprechenden Verordnung durch die behandelnden Ärzte:innen. Die Krankenkassen sind gehalten, eine Genehmigung immer dann zu erteilen, wenn die Ärzte:innen eine solche Behandlung für nötig und sinnvoll halten. Dies soll der Therapiehoheit der Vertragsärzte:innen Rechnung tragen.

Eine Verweigerung der Genehmigung ist daher nur in begründeten Ausnahmefällen möglich.

Die Rechtslage, dass für die Verschreibung von medizinischem Cannabis eine Genehmigung einzuholen ist, ergibt sich aus § 31 Abs. 6 SGB V:

Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn

1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung

a) nicht zur Verfügung steht oder

b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,

2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.

Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist. (…)

Diese Vorschrift stellt für die Lebensrealität vieler Ärzte:innen eine große Herausforderung dar: Auf der einen Seite sind sie ihrem Berufsethos verpflichtet, auf der anderen Seite setzen sie sich einem nicht zu unterschätzenden wirtschaftlichen Risiko aus, wenn sie schnell handeln.

Verschreibung von Cannabis: Was ist zu beachten?

Vor der ersten Verordnung von medizinischem Cannabis müssen Ärzte:innen eine Genehmigung bei der jeweiligen Krankenkasse einholen, andernfalls können sie für die Kostenerstattung in Regress genommen werden.

Wechselt ein Patient oder eine Patientin, dem oder der vorher bereits medizinisches Cannabis verschrieben wurde, den behandelnden Arzt oder Ärztin, wird eine neue Genehmigung fällig. Es ist demnach ratsam, Patienten:innen nicht ohne weiteres eine neue Verordnung auszustellen, sondern immer zunächst die Genehmigung der Krankenkasse einzuholen.

Im Fall von medizinischen Cannabis-Arzneimitteln ist zusätzlich darauf zu achten, dass hier eine Verordnung auf einem Betäubungsmittelrezept erfolgen muss. Problematisch ist hier, dass ein solches Rezept nach Ausstellung nur 7 Tage gültig ist.

Was passiert, wenn die Krankenkasse die Genehmigungsfrist verstreichen lässt?

Den Krankenkassen wird grujndsätzlich eine Frist von 3 Wochen eingeräumt, um über einen Genehmigungsantrag zu entscheiden (§ 13 Abs. 3a S. 1 SGB V). Abweichend davon sieht das Gesetz vor, dass bei einer ambulanten Palliativversorgung eine verkürzte Frist von 3 Tagen gilt, binnen derer über den Antrag zu entscheiden ist.

Gut zu wissen: Diese verkürzte Frist dient der nahtlosen Versorgung nach stationären Aufenthalten der Patienten:innen im ambulanten Bereich. Dies soll eine bessere sektorenübergreifende Versorgung gewährleisten. Davon umfasst sind ebenfalls Verordnungen, die im Rahmen eines Entlassungsmanagements (im Sinne des § 39 Abs. 1a SGB V) ausgestellt werden.

Lässt die Krankenkasse die Genehmigungsfrist verstreichen und informiert sie die Patienten:innen nicht rechtzeitig über diese Verzögerung, so wird die Genehmigung aus rechtlicher Sicht fingiert. Das bedeutet, dass die Genehmigung zunächst als erteilt gilt, obwohl formell keine Genehmigung durch die Krankenkasse vorliegt.

Klartext: Durch eine fingierte Genehmigung können die Patienten:innen einen Kostenerstattungsanspruch gegen die Krankenkasse erhalten. Hierzu bedarf es jedoch eines (fiktionsfähigen) Antrages durch die betroffenen Patienten:innen.

Fazit

Vertragsärzte:innen sollten bei der Verschreibung von medizinischem Cannabis jederzeit zunächst eine Genehmigung der Krankenkasse einholen – auch wenn das Berufsethos in einigen Fällen etwas anderes verlangt. Ein Verzicht auf die Genehmigung kann für Ärzte:innen große wirtschaftliche Einbußen zur Folge haben, wenn ein Regressbescheid erlassen wird.

Zwar wird die Genehmigung in den meisten Fällen von den Krankenkassen erteilt. Jedoch besteht kein Spielraum für die Krankenkassen, auf einen Regress zu verzichten. Vielmehr sind sie dazu verpflichtet, einen Regressantrag zu stellen.

Ärzte:innen ist daher zu raten, in jedem Fall zunächst die Verordnung bei der Krankenkasse vorzulegen, bevor eine solche an die Patienten:innen ausgehändigt wird.

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